Physik vs. Biologie

Gegen die Physik kommt man nicht an.


Deswegen ist die Raumfahrt so teuer. Man braucht eine Menge Treibstoff, um einen Menschen mit einer Rakete in den Weltraum zu bringen. Und noch schlimmer: Man braucht weiteren Treibstoff, um die Rakete hinaufzubringen... und weiteren, um den Treibstoff hinaufzubringen... und... So oder so, wir scheinen am Grunde des Gravitationsbrunnen der Erde festzusitzen, und das Ticket nach draußen muss ein Vermögen kosten.
Wirklich?
Zu verschiedenen Zeiten sind ähnliche Berechnungen auf Lebewesen angewandt worden, und das mit bizarren Ergebnissen. Es ist 'bewiesen' worden, daß Känguruhs nicht springen, Hummeln nicht fliegen können und daß Vögel aus ihrer Nahrung nicht genug Energie gewinnen können, damit es wenigestens für die Nahrungssuche reicht. Es ist sogar 'bewiesen' worden, daß Leben unmöglich ist, da lebende Systeme einen immer höheren Grad an Ordnung erreichen, während aus der Physik folgt, daß in allen Systemen die Unordnung immer weiter zunimmt. Die wichtigesten Schlußfolgerungen, die Biologen aus derlei Übungen gezogen haben, sind eine tiefe Skepsis gegenüber der Brauchbarkeit der Physik für die Biologie und das angenehme Gefühl der Überlegenheit, da doch das Leben offensichtlich weitaus interessanter als Physik ist.
Die richtige Schlußfolgerung lautet, daß man sehr vorsichtig mit den stillschweigenden Voraussetzungen umgehen muß, die man bei solchen Berechnungen macht. Nehmen wir zum Beispiel das Känguruh. Man kann ausrechnen, wieviel Energie ein Känguruh für einen Sprung aufwendet, man kann zählen, wieviele Sprünge es pro Tag macht, und eine Untergrenze für seinen täglichen Energiebedarf ableiten. Bei einem Sprung verlässt das Känguruh den Boden, steigt hoch und kommt wieder herunter, also ist die Berechnung dieselbe wie bei einer Raumrakete. Wenn man alles zusammenzählt, findet man heraus, daß der tägliche Energiebedarf eines Känguruhs etwa zehnmal höher ist als die Energie, die es aus der Nahrung gewinnen kann.
Schlußfolgerung: Känguruhs können nicht springen. Da sie nicht springen können, können sie keine Nahrung aufnehmen, also sind sie alle tot.
Sonderbarerweise wimmelt es in Australien von Känguruhs, die zum Glück keine Ahnung von Physik haben.
[aus: Die Gelehrten der Scheibenwelt von Terry Pratchett]

Relativität

Der Oberste Hirte hatte HEX' Beschreibungen der komplexeren physikalischen Aspekte des Projekts gelesen und unterbrach den Dekan.
'Soweit ich das sehe ... Wenn man mit einer Kutsche fährt, die so schnell ist wie das Licht, und wenn man dann einen Ball nach vorn wirft ....'
Er nahm die nächste Seite und drehte das Blatt kurz um, vielleicht in der Hoffnung, auf der Rückseite Erleuchtung zu finden.
'Dann wäre der eigene Zwillingsbruder fünfzig Jahre älter, wenn man heimkehrt ... glaube ich.'
'Das Alter von Zwillingen ist gleich', sagte der Dekan kühl. ' Deshalb sind sie ja Zwillinge.'
[aus: Die Gelehrten der Scheibenwelt von Terry Pratchett]

Schildkröten

'[..]Du hast nicht zufällig eine entflohene Schildkröte gesehen? Sind verdammt schnell, wie geölte Blitze. Wenn die kleinen Biester losrennen, kann man sie kaum aufhalten.'
Teppic atmete wieder aus.
'Schildkröten?' vergewisserte er sich. ' Sprechen wir hier von, äh, beweglichen Steinen?'
'Haargenau richtig, ' bestätigte Xeno, 'Man läßt sie eine Sekunde aus den Augen, und zack!'
'Zack?' wiederholte Teppic. Er wußte über Schildkröten Bescheid. Im Alten Königreich gab es jede Menge davon. Sie mochten geduldige Vegetarier sein, auch nachdenklich, fleißig und sexbesessen. Aber schnell? Das Wort 'schnell' wurde bei Schildkröten häufig verwendet, weil es das genaue Gegenteil ihrer Fähigkeiten beschrieb.
'Bist du ganz sicher?' fragte Teppic.
'Die gewöhnliche Schildkröte ist das schnellste Tier auf der ganzen Scheibenwelt', sagte Xeno, brachte es jedoch fertig, ein eingeschränktes 'Das behauptet jedenfalls die Logik' hinzuzufügen.*

* Wer kein logisches Bezugssystem hat, hält für gewöhnlich den überaus neurotischen Doppeldeutigen Puzuma für das schnellste aller Tiere. Tatsächlich ist er so ungeheuer schnell, daß er im magischen Feld der Scheibenwelt fast Lichtgeschwindigkeit erreicht. Das bedeutet: Wenn Sie einen Puzuma sehen, ist er überhaupt nicht da. Die meisten männlichen Puzumas sterben schon recht jung an Knie- und Fußgelenksschwäche, weil sie nichtexistenten Weibchen nachrennen und dabei gemäß der relativistischen Theorie eine selbstmörderische Masse entwickeln. Die übrigen erliegen Heisenbergs Unschärferelation. Es ist ihnen nicht möglich, gleichzeitig zu wissen, wer und wo sie sind, und der daraus folgende Konzentrationsmangel hat zur fatalen Folge, daß sie nur im Ruhezustand ein Identitätsgefühl entwickeln, zum Beispiel zwanzig Meter in den Resten eines Berges, der ihrem Lichtgeschwindigkeitssprint ein recht massives Hinternis entgegenstellte. Es heißt, der Puzuma sei etwa so groß wie ein Leopard und habe ein einzigartiges, schwarzweißes Fleckenmuster. Die Gelehrten und Philosophen der Scheibenwelt vertreten eine andere Ansicht. Einige von ihnen gefundenen Exemplare lassen den Schluß zu, daß der durchschnittliche Puzuma sehr flach, sehr dünn und sehr tot ist.